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Subjektivität, Philosophie: Begriff für die Menge der einer wahrnehmenden Instanz zur Verfügung stehenden Information zusammen mit deren Interpretation durch diese Instanz. Dazu gehören Sinneseindrücke, Wahrnehmungen, Stimmungen, Gefühle, Fähigkeiten, Kreativität, Spontaneität, Sprachverstehen und Sprachgebrauch, das Wissen, wie innere Zustände sich anfühlen, Erinnerungen und Projektionen auf die Zukunft. Siehe auch Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Gedächtnis, Wahrnehmung, Wissen wie, Intersubjektivität, Introspektion, Objektivität, Perspektive.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Edmund Husserl über Subjektivität – Lexikon der Argumente

Gadamer I 249
Subjektivität/Husserl/Gadamer: Seinsgeltung besitzt nun [in Husserls Phänomenologie] auch die menschliche Subjekivität(1). Sie ist mithin ebenso als anzusehen, d. h. auch sie ist in der Mannigfaltigkeit ihrer Gegebenheitsweisen zu erforschen. Solche Erforschung des Ich als Phänomen ist nicht “innere Wahrnehmung« eines realen Ich, sie ist aber auch nicht bloße Rekonstruktion der d. h. Beziehung der Bewusstseinsinhalte auf einen transzendentalen Ichpol (Natorp)(2) sondern ist ein hochdifferenziertes Thema transzendentaler Reflexion.
Vgl. >Objektivismus/Husserl
, >Bewusstsein/Husserl.
Gegebenheitsweise: Diese Reflexion stellt gegenüber der bloßen Gegebenheit von Phänomenen des gegenständlichen Bewusstseins, einer Gegebenheit in intentionalen Erlebnissen, den Zuwachs einer neuen Dimension der Forschung dar. Denn es gibt auch Gegebenheit, die nicht selber Gegenstand intentionaler Akte ist. Jedes Erlebnis hat implizierte Horizonte des Vorher und Nachher und verschmilzt zuletzt mit dem Kontinuum der im Vorher und Nachher präsenten Erlebnisse zur Einheit des Erlebnisstroms.
>Zeitbewusstsein/Husserl.
Gadamer I 251
Subjektivität/Husserl/Gadamer: Dass Husserl überall die "Leistung" der transzendentalen Subjektivität im Auge hat, entspricht einfach der Aufgabe der phänomenologischen Konstitutionsforschung. Aber es ist bezeichnend für seine eigentliche Absicht, dass er nicht mehr Bewusstsein, ja nicht einmal Subjektivität sagt, sondern „Leben“. Er will eben hinter die Aktualität des meinenden Bewusstseins, ja auch hinter die Potentialität des Mitmeinens auf die Universalität eines Leistens zurück, das allein die Universalität des Geleisteten, d. h. in seiner Geltung Konstituierten, auszumessen vermag. Es ist eine grundsätzlich anonyme, d. h. von keinem mehr namentlich geleistete Intentionalität, durch die der alles umfassende Welthorizont konstituiert wird. Husserl nennt in bewusster Gegenbildung gegen einen Weltbegriff, der das Universum des von den Wissenschaften Objektivierbaren umfasst, diesen phänomenologischen Weltbegriff „die Lebenswelt“, d. h. die Welt, in die wir in der natürlichen Einstellung hineinleben, die uns nicht als solche je gegenständlich wird, sondern die den vorgegebenen Boden aller Erfahrung darstellt.
>Lebenswelt/Husserl.
Gadamer I 253
Subjekt/Husserl/Gadamer: »Die radikale Weltbetrachtung ist systematische und reine Innenbetrachtung der sich selbst im äußernden Subjektivität(3). Es ist wie in der Einheit eines lebendigen Organismus, den man wohl von außen betrachten und zergliedern, aber verstehen nur kann, wenn man auf seine verborgenen Wurzeln zurückgeht...“
Subjekt/Husserl: Auch das Weltverhalten des Subjekts hat in dieser Weise seine Verständlichkeit nicht in den bewussten Erlebnissen und ihrer Intentionalität, sondern in den anonymen des Lebens. >Ich/Husserl.
Subjektivität/Husserl/Gadamer: (...) so wird man in die Nähe des spekulativen Lebensbegriffes des deutschen Idealismus geführt. Was Husserl sagen will, ist doch, dass man nicht Subjektivität als Gegensatz gegen Objektivität denken darf, weil ein solcher Begriff von Subjektivität selber objektivistisch gedacht wäre. Seine transzendentale Phänomenologie will statt dessen „Korrelationsforschung“ sein. Das aber sagt: das Verhältnis ist das Primäre, und die „Pole“ in die es sich auseinanderfaltet, sind von ihm selbst umschlossene“(4) so wie das Lebendige alle seine Lebensäußerungen in der Einheitlichkeit seines organischen Seins umschließt.
HusserlVsHume: »Die Naivität der Rede von die die erfahrende, erkennende, die wirklich konkret leistende Subjektivität ganz außer Frage lässt, die Naivität des Wissen-
Gadamer I 254
schaftlers von der Natur, von der Welt überhaupt, der blind ist dafür, dass alle die Wahrheiten, die er als objektive gewinnt, und die objektive Welt selbst, die in seinen Formeln Substrat ist, sein eigenes, in ihm selbst gewordenen Lebensgebilde ist - ist natürlich nicht mehr möglich, sowie das Leben in den Blickpunkt rückt«, schreibt Husserl im Hinblick auf Hume(5).

1. Husserliana VI. 169.
2. Natorp, Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode, 1888; Allgemeine Psychologie nach kritischer Methode, 1912.
3. Husserliana VI, S. 116.
4. Vgl. C. Wolzogen, „Die autonome Relation. Zum Problem der Beziehung im Spätwerk Paul Natorps. Ein Beitrag zur Geschichte der Theorien der Relation“ 1984 und meine Rezension in Philos. Rdsch. 32 (1985), S. 1601.
5. Husserliana VI S. 99

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
E. Husserl
I Peter Prechtl Husserl zur Einführung, Hamburg 1991 (Junius)
II "Husserl" in: Eva Picardi et al., Interpretationen - Hauptwerke der Philosophie: 20. Jahrhundert, Stuttgart 1992

Gadamer I
Hans-Georg Gadamer
Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik 7. durchgesehene Auflage Tübingen 1960/2010

Gadamer II
H. G. Gadamer
Die Aktualität des Schönen: Kunst als Spiel, Symbol und Fest Stuttgart 1977

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