Philosophie Lexikon der Argumente

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Kräfte: A. In der Physik ist eine Kraft eine Einwirkung, die die Geschwindigkeit eines Objekts verändern kann, d. h. es beschleunigt. Kräfte sind Vektorgrößen, das heißt, sie haben sowohl eine Größe als auch eine Richtung. - B. In der Philosophie wird oft über die Behauptende Kraft diskutiert. Gottlob Frege vertrat die Ansicht, dass die Behauptende Kraft ein wesentlicher Bestandteil der Bedeutung eines Satzes ist, dass sie aber von den Wahrheitsbedingungen des Satzes verschieden ist. Die Wahrheitsbedingungen eines Satzes bestimmen, ob er wahr oder falsch ist, während die Behauptungskraft bestimmt, was der Sprecher mit der Äußerung des Satzes tut. Siehe auch Wahrheitsbedingungen, Bedeutung, Behauptungen, Sprechakte.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Leopold von Ranke über Kräfte – Lexikon der Argumente

Gadamer I 208
Kraft/Freiheit/Geschichte/Ranke/Gadamer: »Gestehen wir ein, dass die Geschichte nie die Einheit eines philosophischen Systems haben kann; aber ohne inneren Zusammenhang ist sie nicht. Vor uns sehen wir eine Reihe von aufeinanderfolgenden einander bedingenden Ereignissen. Wenn ich sage: bedingen, so heißt das freilich nicht durch absolute Notwendigkeit. (...) zur Freiheit aber gesellt sich die Kraft, und zwar ursprüngliche Kraft; ohne diese hört jene in den Weltereignisssen sowohl, wie auf dem Gebiete der Ideen auf. Jeden Augenblick kann wieder etwas Neues beginnen, das nur auf die erste und gemeinschaftliche Quelle alles menschlichen Tuns und Lassens zurückzuführen ist; nichts
ist ganz um des anderen willen da; keines geht ganz in der Realität des anderen auf. Aber dabei waltet doch auch ein tiefer inniger Zusammenhang ob, von dem niemand ganz unabhängig ist, der überall eindringt.(1)
Gadamer I 209
Gadamer: Kraft ist offenbar die zentrale Kategorie der historischen Weltansicht. Als solche hat sie bereits Herder in Anspruch genommen, als es darum ging, von dem Fortschrittsschema der
Aufklärung freizukommen und insbesondere den Vernunftbegriff, der ihm zugrunde liegt, zu überwinden(2).
>Aufklärung/Herder
, >Geschichte/Historismus.
Der Begriff der Kraft hat deswegen eine so zentrale Stellung innerhalb der historischen Weltansicht, weil in ihm Innerlichkeit und Äußerlichkeit in einer eigentümlichen Spannungseinheit gesetzt sind. Jede Kraft ist nur in ihrer Äußerung. Die Äußerung ist nicht nur die Erscheinung der Kraft, sondern ihre Wirklichkeit.
Hegel/Gadamer: Hegel hatte vollkommen recht, wenn er die innere Zugehörigkeit von Kraft und Äußerung dialektisch entfaltete. In eben dieser Dialektik aber liegt auf der anderen Seite, dass die Kraft mehr ist als ihre Äußerung. Ihr gehört Wirkungsmöglichkeit schlechthin zu, das heißt, sie ist nicht nur Ursache für eine bestimmte Wirkung, sondern das Vermögen, immer wo sie ausgelöst wird, solche Wirkung zu tun. Ihre Seinsweise ist also gerade von der der Wirkung unterschieden.
>Kraft/Hegel.
Kraft/Platon: Schon Plato hat in diesem Zusammenhang die reflexive Struktur der
Gadamer I 210
dynamis erstmals gesichtet und damit ihre Übertragung auf das Wesen der Seele, die Aristoteles mit der Lehre von den dynameis, den Vermögen der Seele vorgenommen hat, ermöglicht(3).
>Platon, >Aristoteles.
Gadamer: Kraft ist ihrem ontologischen Wesen nach „Innerlichkeit“. Es ist insofern ganz genau richtig, wenn Ranke schreibt:
Ranke: „(...) zur Freiheit gesellt sich die Kraft«. Denn Kraft, die mehr ist als ihre Äußerung, ist immer schon Freiheit. Das ist für den Historiker von entscheidender Bedeutung. Er weiß: Alles hätte auch anders kommen können. Jedes handelnde Individuum hätte auch anders handeln können. Die Kraft, die Geschichte macht, ist nicht ein mechanisches Moment. Um das auszuschließen, sagt Ranke ausdrücklich »und zwar ursprüngliche Kraft« und redet von er »ersten und gemeinschaftlichen Quelle alles menschlichen Tuns und Lassens«(1) - und das ist nach Ranke die Freiheit.
Hegel/Gadamer: Hier nun zeigt sich die Wahrheit der von Hegel aufgedeckten Dialektik der
Kraft(4). Der Widerstand, den die freie Kraft findet, ist selbst aus Freiheit. Die Notwendigkeit, um die es hier geht, ist die Macht des Überkommenen und der gegenhandelnden anderen, die jedem Einsatz freier Tätigkeit vorgegeben ist. Indem sie vieles als unmöglich ausschließt, beschränkt sie das Handeln auf das Mögliche, das offen ist. Die Notwendigkeit ist selbst aus Freiheit und ist selbst bedingt durch die Freiheit, die mit ihr rechnet. Logisch gesehen handelt es sich um hypothetische Notwendigkeit (das ex hypotheses anagkaion), inhaltlich um eine Seinsweise nicht der Natur, sondern des geschichtlichen Seins. Was geworden ist, ist nicht einfach umzustoßen.

1. Ranke, Weltgeschichte IX, Xlllf.
2. In meiner Schrift »Volk und Geschichte im Denken Herders« (1942) (KI. Schr. Ill, S. 101 —117; jetzt in Bd. 4 der Ges. Werke) habe ich gezeigt, dass Herder die Übertragung des Leibnizschen Kraftbegriffs auf die geschichtliche Welt vollzogen hat.
3. Plato, Charm. 169a. Vgl. auch „Vorgestalten der Reflexion“ Kl. Schr. Ill, S. 1—13; Bd. 6 der Ges. Werke, S. 116-128.
4. Hegel, Enzyklopädie S 136f., ebenso Phänomenologie (Hoffmeister) S. 105ff.; Logik (Lasson) S. 144ff.

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
Ranke, Leopold von

Gadamer I
Hans-Georg Gadamer
Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik 7. durchgesehene Auflage Tübingen 1960/2010

Gadamer II
H. G. Gadamer
Die Aktualität des Schönen: Kunst als Spiel, Symbol und Fest Stuttgart 1977

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