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Theologische Hermeneutik: Hermeneutik ist die Theorie und Praxis der Interpretation, insbesondere der Interpretation von Texten. Die Hermeneutik befasst sich mit der Frage, wie wir Bedeutung verstehen. Sie geht davon aus, dass der Sinn nicht feststeht oder objektiv ist, sondern durch einen Prozess der Interpretation entsteht. Das bedeutet, dass der eigene Hintergrund und die eigenen Erfahrungen des Interpreten eine Rolle dabei spielen, wie er den Text versteht. Siehe auch Interpretation, Texte, Hermeneutischer Zirkel.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Rudolf Bultmann über Theologische Hermeneutik – Lexikon der Argumente

Gadamer I 336
Theologische Hermeneutik/Bultmann/Gadamer: Die Heilige Schrift ist Gottes Wort, und das bedeutet, dass die Schrift vor der Lehre derer, die sie auslegen, einen schlechthinnigen Vorrang
behält. Auch als wissenschaftliche Auslegung des Theologen muss sie stets festhalten, dass die Heilige Schrift die göttliche Heilsverkündigung ist. Ihr Verständnis kann daher nicht allein die wissenschaftliche Erforschung ihres Sinnes sein.
Bultmann schreibt einmal: »Die Interpretation der biblischen Schriften unterliegt nicht anderen Bedingungen des Verstehens als jede andere Literatur.(1)
Gadamer: Der Sinn dieses Satzes ist zweideutig. Denn es geht eben darum, ob nicht jede Literatur noch anderen Bedingungen des Verstehens unterliegt als denen, die in formaler Allgemeinheit jedem Text gegenüber erfüllt sein müssen.
Vorverständnis: Bultmann selbst betont, dass für jedes Verstehen das Lebensverhältnis des Interpreten zum Text, sein vorgängiger Bezug zu der Sache, die durch den Text vermittelt wird, vorausgesetzt wird. Er nennt diese hermeneutische Voraussetzung das Vorverständnis, weil dasselbe offenbar nicht erst durch das Verfahren des Verstehens erzielt wird, sondern schon vorausgesetzt ist.
Gadamer I 337
Voraussetzung/Gadamer: Nun fragt es sich aber, was hier „Voraussetzung“ heißt. Ist sie mit der menschlichen Existenz als solcher gegeben? Besteht ein vorgängiger Sachbezug auf die Wahrheit der göttlichen Offenbarung in jedem Menschen, weil der Mensch als solcher von der Gottesfrage bewegt ist? Oder muss man sagen, dass erst von Gott aus, das heißt, vom Glauben her, die menschliche Existenz sich in diesem Bewegtsein von der Gottesfrage erfährt? Dann aber wird der Sinn von Voraussetzung fraglich, den der Begriff des Vorverständnisses enthält. Diese Voraussetzung gilt offenbar nicht allgemein, sondern nur vom Standpunkt des rechten Glaubens aus. So enthält die Voraussetzung, von der Gottesfrage bewegt zu sein, in Wahrheit schon den Anspruch des Wissens um den wahren Gott und seine Offenbarung. Selbst was Unglaube heißt, bestimmt sich von dem geforderten Glauben her. Das existenziale Vorverständnis, von dem Bultmann ausgeht, kann nur selbst ein christliches sein.
Falsche Lösung/Gadamer: Nun könnte man vielleicht dieser Konsequenz zu entgehen suchen, indem man sagt, es genüge zu wissen, dass religiöse Texte nur zu verstehen sind als Texte, die auf die Gottesfrage Antwort geben. Der Interpret brauche nicht selber in seiner religiösen Bewegtheit in Anspruch genommen zu werden.
GadamerVsBultmann: Eine solche Voraussetzung gilt offenbar nur für den, der die Alternative von Glauben oder Unglauben gegenüber dem wahren Gott schon anerkennt. So scheint mir der hermeneutische Sinn des theologischen Vorverständnisses selber ein theologischer zu sein. Zeigt doch auch die
Geschichte der Hermeneutik, wie die Befragung der Texte von einem höchst konkreten Vorverständnis bestimmt ist. Die moderne Hermeneutik als protestantische Disziplin ist offenkundig als Kunst der Schriftauslegung auf die dogmatische Tradition der katholischen Kirche und ihre Lehre von der Werkgerechtigkeit polemisch bezogen. Sie hat selber einen dogmatisch-
Gadamer I 338
konfessionellen Sinn. Das bedeutet nicht, dass eine solche theologische Hermeneutik dogmatisch voreingenommen ist, so dass sie heraus liest, was sie hineingelegt hat, Sie setzt sich vielmehr wirklich aufs Spiel. Aber sie setzt voraus, dass das Wort der Schrift trifft und dass nur der Betroffene glaubend oder zweifelnd versteht. Insofern ist die Applikation das erste.


1. R. Bultmann, Glauben und Verstehen II, S. 231


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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
Bultmann, Rudolf

Gadamer I
Hans-Georg Gadamer
Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik 7. durchgesehene Auflage Tübingen 1960/2010

Gadamer II
H. G. Gadamer
Die Aktualität des Schönen: Kunst als Spiel, Symbol und Fest Stuttgart 1977

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