Philosophie Lexikon der Argumente

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Ich-Du-Beziehung: Das Ich-Du-Verhältnis ist ein philosophischer Begriff, der von Martin Buber entwickelt wurde. Es ist eine Beziehung der Gegenseitigkeit, Direktheit, Gegenwärtigkeit und Intensität. In ihr begegnen wir der anderen Person als ganzem Wesen. Wir sehen die andere Person als Subjekt, nicht als Objekt. Siehe auch Dialog, Kommunikation, Person, Subjekte, Autonomie.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Hans-Georg Gadamer über Ich-Du-Verhältnis – Lexikon der Argumente

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Ich-Du-Verhältnis/Gadamer: Überlieferung ist (...) nicht einfach ein Geschehen, das man durch Erfahrung erkennt und beherrschen lernt, son-
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dern sie ist Sprache, d. h. sie spricht von sich aus so wie ein Du. Ein Du ist nicht Gegenstand, sondern verhält sich zu einem.
Erfahrung: A. Dass die Erfahrung des Du eine spezifische sein muss, sofern das Du kein Gegenstand ist, sondern sich selbst zu einem verhält, ist klar. Insofern werden die von uns hervorgehobenen Strukturmomente von Erfahrung hier eine Abwandlung finden.
>Erfahrung
.
Da hier der Gegenstand der Erfahrung selbst den Charakter der Person hat, ist solche Erfahrung ein moralisches Phänomen und das durch die Erfahrung erworbene Wissen, das Verstehen des anderen, ebenfalls. Nun gibt es eine Erfahrung des Du, die aus dem Verhalten des Mitmenschen Typisches heraussieht und auf Grund der Erfahrung Voraussicht des anderen gewinnt. Wir nennen das Menschenkenntnis. Moralisch gesehen bedeutet solches Verhalten zum Du die reine Selbstbezüglichkeit und widerstreitet der moralischen Bestimmung des Menschen.
>Intersubjektivität, >Subjektivität, >Kommunikation, >Dialog, >Selbstwissen, >Selbstbewusstsein.
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B. Eine zweite Weise der Erfahrung des Du und des Verstehens des Du besteht darin, dass das Du als Person anerkannt wird, das aber der Einbeziehung der Person in die Erfahrung des Du zum Trotz das Verstehen des Du eine Weise der Ichbezogenheit ist. Solche Selbstbezüglichkeit entspringt
dem dialektischen Schein, den die Dialektik des Ich-Du-Verhältnisses mit sich führt.
Das Ich-Du-Verhältnis ist ja kein unmittelbares, sondern ein Reflexionsverhältnis. Allem Anspruch entspricht ein Gegenanspruch. Darin entspringt die Möglichkeit, dass jeder der Partner des Verhältnisses den anderen reflektierend überspielt. Er beansprucht den Anspruch des anderen
von sich aus zu kennen, ja sogar ihn besser zu verstehen, als er sich selbst versteht. Damit verliert das Du die Unmittelbarkeit, mit der es seinen Anspruch an einen richtet. Es wird verstanden, d, h. aber vom Standpunkt des anderen aus antizipiert und reflektierend abgefangen.
Geschichtlichkeit: Die innere Geschichtlichkeit aller Lebensverhältnisse zwischen Menschen besteht darin, dass die gegenseitige Anerkennung ständig umkämpft ist. Sie kann sehr verschiedene Grade der Spannung annehmen, bis zur völligen Beherrschung des einen Ichs durch das andere Ich.
>Anerkennung.
Aber selbst die extremsten Formen von Herrschaft und Knechtschaft sind ein echtes dialektisches Verhältnis von der Struktur, die Hegel herausgearbeitet hat.(1)
>Herrschaft und Knechtschaft.
Bewusstsein/Selbstbewusstsein: Die Erfahrung des Du, die hier erworben wird, ist sachlich angemessener als die Menschenkenntnis, die den anderen nur zu berechnen sucht. Es ist
eine Illusion, im anderen ein schlechthin übersehbares und beherrschbares Werkzeug zu sehen. Selbst im Knecht ist noch der Wille zur Macht, der sich gegen den Herrn kehrt, wie Nietzsche richtig gesagt hat.(2) Diese Dialektik der Gegenseitigkeit, die alle Ich-Du-Verhältnisse beherrscht, ist aber dem Bewusstsein des einzelnen notwendig verdeckt. Der Diener, der seinen Herrn durch Dienen tyrannisiert, glaubt durchaus nicht, sich selbst darin zu wollen. Ja, das eigene Selbstbewusstsein besteht geradezu darin, sich der
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Dialektik dieser Gegenseitigkeit zu entziehen, sich selber aus der Beziehung zum anderen herauszureflektieren und dadurch von ihm unerreichbar zu werden. Indem man den anderen versteht, ihn zu kennen beansprucht, nimmt man ihm jede Legitimation seiner eigenen Ansprüche. Insbesondere die Dialektik der Fürsorge macht sich auf diese Weise geltend, indem sie alle mitmenschlichen Verhältnisse als eine reflektierte Form des Herrschaftsstrebens durchdringt.
>Dialektik.


1. Vgl. die ausgezeichnete Analyse dieser Reflexionsdialektik von Ich und Du bei Karl
Löwith, Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen (1928) und meine Rezension
Logos X V 111 (1929), S. 436-440 Bd. 4 der Ges. Werke.
2. Also sprach Zarathustra Il (Von der Selbstüberwindung)

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.

Gadamer I
Hans-Georg Gadamer
Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik 7. durchgesehene Auflage Tübingen 1960/2010

Gadamer II
H. G. Gadamer
Die Aktualität des Schönen: Kunst als Spiel, Symbol und Fest Stuttgart 1977

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