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Rechtsprechung: Die Rechtsprechung ist die Befugnis eines Gerichts oder einer anderen Rechtsinstanz, Fälle zu verhandeln und zu entscheiden. Siehe auch Recht, Rechte, Gerichtsverfahren, Justiz.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Public Choice-Theorie über Rechtsprechung - Lexikon der Argumente

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Rechtsprechung/Public Choice-Theorie/Farber: Gerichte sind wichtige Akteure in Demokratien. Eine Frage ist, warum es ihnen erlaubt ist, unabhängig zu arbeiten, anstatt von der Exekutive oder der Legislative kontrolliert zu werden. Es gibt klare gesellschaftliche Vorteile der richterlichen Unabhängigkeit, da die Rechtsstaatlichkeit durch die Aufrechterhaltung von Eigentumsrechten, der Durchsetzbarkeit von Verträgen und der persönlichen Freiheit Vorteile bietet. Aus einem engeren Blickwinkel betrachtet, macht die richterliche Unabhängigkeit gesetzgeberische Abmachungen dauerhafter (Landes und Posner, 1975)(4).
Nichtsdestotrotz gibt es auch einen eindeutigen kurzfristigen Vorteil für Politiker, wenn sie in ausstehende Fälle eingreifen können, entweder in Verfolgung ihrer eigenen politischen Ziele oder im Namen von Wählern.
Restriktionen: Die Frage ist, wie (...) Restriktionen umgesetzt und aufrechterhalten werden können, wenn man bedenkt, dass die Gesetzgeber zu jedem Zeitpunkt davon profitieren könnten, wenn sie Einfluss auf die Richter ausüben könnten. Eine Möglichkeit ist der verfassungsrechtliche Schutz von Richtern, wie etwa der Schutz vor Abberufung. Die Konstitutionalisierung dieser Beschränkungen erhöht die Kosten für die Überwindung der richterlichen Unabhängigkeit, da dies entweder die Überwindung der Hürden für eine Verfassungsänderung oder die Ablehnung der Bindungskraft der Verfassung und damit die Gefährdung von Vorteilen aus anderen Regeln erfordert.
Unabhängigkeit/Fragestellung: (...) was treibt die Entscheidungen von Richtern an, in dem Maße, in dem sie frei von äußeren Einflüssen sind? Dies ist offensichtlich eine Frage, die für die öffentliche Entscheidung von Bedeutung ist, da die Umsetzung von Gesetzen oft Richter betrifft. Wenn andere Akteure nicht antizipieren können, wie Richter entscheiden werden, haben sie keine Möglichkeit
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die Auswirkungen von Gesetzen oder Verordnungen letztlich zu kennen, und können somit auch nicht feststellen, ob Gesetze oder Verordnungen ihre eigenen Ziele fördern werden.
Richter/Entscheidungen/Shepsle: "Richter sind rätselhafte Akteure im politischen Leben" (Shepsle, 2010(1), S. 486). Die Wirtschaftswissenschaften gehen üblicherweise von der Theorie aus, dass Anreize das Verhalten steuern, aber in dem Maße, in dem Richter Unabhängigkeit genießen, sind die üblichen ökonomischen Anreize nicht vorhanden oder zumindest erheblich geschwächt (Shepsle, 2010(1), S. 47 3). Wie die Wähler in der Privatsphäre der Wahlkabine sind die Richter also frei, die Ziele ihrer Wahl zu verfolgen.
Politische Orientierung: Empirische Studien bestätigen, dass ein großer Teil des richterlichen Verhaltens mit der politischen Partei des ernannten Präsidenten korreliert. Da Public Choice im Allgemeinen davon ausgeht, dass andere Akteure ausschließlich von Präferenzen über eine Reihe von Politiken angetrieben werden, ist es verlockend, dieselbe Schlussfolgerung für Richter zu ziehen. Bei der Beurteilung dieser Befunde ist es wichtig, im Auge zu behalten, dass sich Ideologien nicht nur in ihren Werteschemata unterscheiden (d.h. in ihren Präferenzen über verschiedene Zustände). Von besonderer Relevanz für Richter sind Ideologien nicht nur in Bezug auf Werte und faktische Überzeugungen, sondern auch in Bezug auf verfassungsrechtliche Fragen wie die angemessene Rolle von Richtern, Exekutive und Gesetzgebern. Die Feststellung einer Korrelation mit der Ideologie deutet also nicht unbedingt darauf hin, dass die Entscheidungen einfach durch unterschiedliche Wertvorstellungen der Richter bestimmt werden. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass das richterliche Verhalten komplexer ist. Viele Berufungsentscheidungen sind einstimmig, und richterliche
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Entscheidungen lassen sich nicht immer sauber auf einer ideologischen Skala einordnen. Es gibt auch Belege dafür, dass Richter (zumindest an Bundesberufungsgerichten) von den Ansichten anderer Richter beeinflusst werden: Gremien mit einer gemischten Besetzung aus Republikanern und Demokraten neigen dazu, gemäßigtere Entscheidungen zu treffen, während Richter, die in einem Gremium eine politische Minderheit darstellen, ihre Ansichten eher in Richtung der Mehrheit bewegen. So gehen die Richter offenbar entweder Kompromisse im Interesse des Konsenses ein oder lassen sich von den Argumenten der anderen überzeugen (Stephenson, 2010(2), S. 307-308). (...) es gibt Hinweise darauf, dass Richter von Präzedenzfällen beeinflusst werden, sowohl von höheren Gerichten als auch von ihren eigenen Gerichten. Vermutlich werden sie auch von Gesetzes- und Verordnungstexten beeinflusst, da es sonst schwer zu verstehen wäre, warum sich Gesetzgeber und Verwaltung die Mühe machen, sie zu erlassen. Rein "juristische" Überlegungen spielen also durchaus eine Rolle bei richterlichen Entscheidungen (Stephenson, 2010(2), S. 308-310).
Interessen/Gleichgewicht: Vielleicht kümmern sich Richter tatsächlich um rechtliche Regeln um ihrer selbst willen, oder vielleicht legen sie Wert auf ihren beruflichen Ruf. Oder, was am interessantesten ist, vielleicht ist die Einhaltung rechtlicher Regeln ein Gleichgewicht, das dem längerfristigen Interesse der einzelnen Richter dient, eine politische Wirkung zu erzielen.
Es scheint also, dass Ideologie, der Wunsch nach Übereinstimmung und rechtliche Regeln alle richterliche Abstimmungen beeinflussen (Jacobi, 2010)(3).

1. Shepsle, K. A. (2010). Analyzing Politics: Rationality, Behavior, and Institutions. 2nd edition.
New York: W.W. Norton & co.
2. Stephenson, M. C. (2010). "Statutory Interpretation by Agencies," in D. A. Farber and A. J.
O'Connell, Hrsg., Research Handbook on Public Choice and Public Law, 19—48. Northampton, MA: Edward Elgar.
3. Jacobi, T. (2010). "The Judiciary," in D. A. Farber and A. J. O'Connell, Hrsg., Research Handbook on Public Choice and Public Law, 234—259. Northampton, MA: Edward Elgar.
4. Landes, W. M. and R. A. Posner (1975). "The Independent Judiciary in an Interest-Group Perspective." Journal of Law and Economics 18(3): 875—901.

Farber, Daniel A. “Public Choice Theory and Legal Institutions”. In: Parisi, Francesco (Hrsg.) (2017). The Oxford Handbook of Law and Economics. Bd. 1: Methodology and Concepts. NY: Oxford University Press


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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
Public Choice-Theorie

Parisi I
Francesco Parisi (Ed)
The Oxford Handbook of Law and Economics: Volume 1: Methodology and Concepts New York 2017

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