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Unvollständigkeit: Ob etwas unvollständig ist, kann nur in Bezug auf etwas festgestellt werden, das eine nähere Bestimmung erlaubt. Dazu muss z.B. eine Fortsetzungsregel, eine Typenbezeichnung, oder eine Kategorisierung angegeben werden können. Gegenstände, die auch Teile von etwas sind, können dann als Gegenstand vollständig beschrieben sein, wenn sie zu ihrer Bestimmung nicht den Kontext dessen brauchen, von dem sie ein Teil sind. Siehe auch Unbestimmtheit, Bestimmung, Kontext/Kontextabhängigkeit, Beschreibung, Beschreibungsebenen, Vollständigkeit.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Kurt Gödel über Unvollständigkeit – Lexikon der Argumente

Thiel I 227 ff
Unvollständigkeitssatz/Gödel/Thiel: ... dieser metamathematischen Aussage [dem Unvollständigkeitssatz] entspricht in F eine einstellige Aussageform G(x) die dann in der abzählenden Folge irgendwo vorkommen muss. Nimmt G(x) die h'te Stelle ein, so ist sie also identisch mit der dort als Ah(x) bezeichneten Aussageform.
Gödels Resultat wird sein, dass in F weder die aus G(x) durch die Einsetzung von h entstehende Aussage G(h) noch deren Negat ~G(h) ableitbar ist.

"In F unentscheidbar".

Angenommen, G(h) sei in F ableitbar, dann wäre nur die Ableitung wahrer Aussagen zu gestatten, also G(h) wäre auch wahr.
Es würde also, da G(x) als Bild von $Ax(x) in F eingeführt wurde, $Ah(h) gelten. Das hieße aber, da ja Ah(x) mit G(x) identisch ist, $G(h). G(h) wäre also in F unableitbar. Das ist ein Widerspruch.
>Ableitung
, >Ableitbarkeit.
Diese Ableitung beweist zunächst nur die Geltung der "Wenn-Dann-Aussage" S G(h)>$ G(h). Das muss jetzt noch eingesetzt werden:

(S G(h)>$ G(h))> $ G(h).

Das geht aus dem allgemeinen Schema (A>~A)>~A hervor.
Nehmen wir dann andererseits an, dass das Negat ~G(h) ableitbar sei, dann wäre auch ~G(h) wahr. Das wäre gleichbedeutend mit der Geltung von ~$ Ah(h) also mit S Ah(h).
Thiel I 228
Das wiederum stimmt mit S G(h) überein, so dass beide, Behauptung und Negat ableitbar wären, und wir einen formalen Widerspruch hätten. Wenn F überhaupt widerspruchsfrei ist, kann auch unsere zweite Annahme S ~G(h) nicht gelten. Dies ist eine unentscheidbare Aussage.
Vgl. >Entscheidbarkeit, >Unentscheidbarkeit.
Thiel I 228
Diese Beweisskizze stellt ein Programm auf. Wichtige Rolle bei der Ausführung dieses Programms spielen die "Gödelisierung" und die sogenannte "negative Vertretbarkeit" bestimmter Relationen in F.
Def Gödelisierung: Die "Gödelisierung" ist zunächst einmal nur eine umkehrbar eindeutige Zuordnung von Grundzahlen zu Zeichenreihen. Wir wollen die Ausdrücke von F in klammerfreie Form bringen.
>Gödelzahlen.
Dazu schreiben wir die logischen Verknüpfungszeichen nicht mehr zwischen, sondern vor die Ausdrücke. Wir schreiben die Verknüpfungszeichen als "Indizes" an den Ordnungsfunktor G.
Terminologie: Ordnungsfunktor G.
Quantoren: Quantoren behandeln wir wie zweistellige Funktoren, deren erstes Argument der Index, das zweite die quantifizierte Aussageform ist.
>Quantoren, >Quantifikation.
Thiel I 229
Dann erhält die Aussage (x)(y)(z) ((x=y)>(zx = zy) die Gestalt

(x)(y)(z)G > G = xyG = G mal zxG mal zy.

Wir können die Glieder der unendlichen Variablenfolgen jeweils durch einen die Sorte signalisierenden Standardbuchstaben und z.B. vorangestellte Punkte wiedergeben: also etwa x,y,z,...durch x,°x,°°x,... Als Zählzeichen nehmen wir statt |,||,|||,... Nullen mit entsprechend vielen vorangestellten Strichen 0,'0,''0,...
>Folgen.
Mit dieser Konvention ist jedes Zeichen in F entweder eine 0 oder einer der einstelligen Funktoren G1 (der erste Anordnungsfunktor!) , ', ~.
Zweistellige: G2, dreistellige G4 usw.
Thiel I 229
Bsp Gödelisierung, Gödelzahl, Gödelnummer:
Es werden jeweils Primzahlen zugeordnet.
>Primzahlen.
Thiel I 230
Auf diese Weise kann jeder Zeichenreihe von F eindeutig eine Gödelnummer zugeordnet werden und gesagt werden, wie sie berechnet werden kann. Da jede Grundzahl eine eindeutige Darstellung als Produkt von Primzahlen besitzt, lässt sich von jeder gegebenen Zahl feststellen, ob sie überhaupt Gödelnummer einer Zeichenreihe von F ist.
Metamathematische und arithmetische Relationen entsprechen einander: Bsp
Thiel I 230
Wir ersetzen in ~G = x'x das x durch 0 und erhalten ~G = 0'0.
Die Gödelnummer der ersten Reihe ist.
223 x 313 x 537 x 729 x 1137, die der zweiten Zeichenreihe:
223 x 313 x 531 x 729 x 1131.
Der Übergang von der Gödelnummer der ersten zu der der zweiten Reihe erfolgt mittels Division durch 56 x 116 und diese Beziehung (von Produkt und Faktor) ist die der metamathematischen Beziehung der Zeichenreihen entsprechende arithmetische Beziehung zwischen ihren Gödelnummern.
Thiel I 231
Diese Beziehungen sind sogar effektiv, da man die Gödelnummer jedes Gliedes der Beziehung aus denen ihrer übrigen Glieder effektiv (Gödel sagt "rekursiv") berechnen kann.
>Rekursion.
Den wichtigsten Fall bildet natürlich die Beziehung Bxy zwischen der Gödelnummer x, einer Beweisfigur Gz1...zk und der Gödelnummer y ihrer Endfolge... .
Thiel I 233
"Negationstreue Vertretbarkeit": Gödel zeigt, dass es zu jeder rekursiven k-stelligen Relation R eine k-stellige Aussageform A in F von der Art gibt, dass A ableitbar ist, falls R gilt, und ~A falls R nicht gilt.
Wir sagen, dass die Aussageform A die Relation R in F negationstreu vertritt.
Thiel I 234
Nach alldem folgt, dass, wenn F ω-widerspruchsfrei ist, weder G noch ~G in F ableitbar ist. G ist eine "in F unentscheidbare Aussage".
Das Auftreten von unentscheidbaren Aussagen in diesem Sinne ist nicht dasselbe wie die Unentscheidbarkeit von F in dem Sinne, dass es kein gewissermaßen mechanisches Verfahren gibt.
>Entscheidbarkeit.
Thiel I 236
Zwar gibt es für F kein solches Entscheidungsverfahren, aber das ist nicht dasselbe wie die gezeigte "Unvollständigkeit", was man daraus sehen kann, dass Gödel 1930 zwar die klassische Quantorenlogik als vollständig erwiesen hat, es aber auch hier kein Entscheidungsverfahren gibt.
Def Unvollständig/Thiel: Unvollständig wäre eine Theorie nur, wenn sich ein wahrer Satz über Gegenstände der Theorie angeben ließe, der nachweislich nicht aus dem der Theorie zugrunde liegenden Axiomensystem ableitbar wäre. ((s) Dann wäre das System nicht maximalkonsistent.)
Ob dies im Fall der Arithmetik durch die Konstruktion der Gödelschen Aussage G geschehen sei, war lange Zeit mit Nein beantwortet worden, mit der Begründung, G sei keine "richtige" arithmetische Aussage.
Das hat sich vor etwa 20 Jahren dadurch erledigt, dass kombinatorische Sätze gefunden wurden, die im Vollformalismus ebenfalls nicht ableitbar sind.
Gödel/Thiel: So kann an der Unvollständigkeit nicht mehr gezweifelt werden. Dies ist kein Aufweis der Grenzen menschlicher Erkenntnis, nur Aufweis einer sachimmanenten Grenze der axiomatischen Methode.
Thiel I 238 ff
Eine der Pointen des Beweises für den Gödelschen Unableitbarkeitssatz war, dass die der selbstverständlichen Effektivität aller Beweise im Vollformalismus F entsprechende Effektivität der metamathematischen Ableitbarkeitsbeziehung ihr genaues Gegenstück in der Rekursivität der arithmetischen Beziehungen zwischen den Gödelnummern der Beweisfiguren und Endformeln hat, und dass diese Parallelität für überhaupt alle effektiv entscheidbaren metamathematischen Beziehungen und ihrer arithmetischen Gegenstücke gesichert werden kann.
>Ableitung, >Ableitbarkeit.

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.

Göd II
Kurt Gödel
Collected Works: Volume II: Publications 1938-1974 Oxford 1990

T I
Chr. Thiel
Philosophie und Mathematik Darmstadt 1995

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