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K. R. Popper: Karl Raimund Popper (1902 - 1994) war ein in Österreich geborener britischer Philosoph, Wissenschaftler und Gesellschaftskommentator. Er gilt als einer der einflussreichsten Wissenschaftsphilosophen des 20. Jahrhunderts. Seine wichtigsten Werke sind The Logic of Scientific Discovery (1934), The Open Society and Its Enemies (1945), Conjectures and Refutations (1963).

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Terence Ball über Popper – Lexikon der Argumente

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Popper/Interpretation von Hegel/Ball: Es könnte lehrreich sein, Poppers "Offene Gesellschaft" erneut zu besuchen, um zu zeigen, wie aufrichtig gehaltene aktuelle Anliegen unsere Interpretation "klassischer" Werke der politischen Theorie beeinflussen - oder falsch beeinflussen können. Lassen Sie uns aus der vorhergehenden Galerie von Schurken ein einziges Beispiel für eine nähere Betrachtung auswählen: Hegels Bemerkung in "Philosophie des Rechts", dass "das, was rational ist, tatsächlich ist und das, was tatsächlich ist, rational ist" (1952: 10)(1).
>Rechtsphilosophie/Hegel
.
Popper zitiert Hegels Bemerkung in englischer Übersetzung und glossiert sie dann wie folgt: 'Hegel behauptet, dass alles, was vernünftig ist, wirklich sein muss, und alles, was wirklich ist, muss vernünftig sein'. So behauptet Hegel, dass "alles, was jetzt real oder tatsächlich ist, notwendigerweise existiert und sowohl vernünftig als auch gut sein muss". (Besonders gut ist ... der bestehende preußische Staat)' (Popper(2)).
Der preußische Staat zu Hegels Zeit war ein autoritärer Polizeistaat, der Zensur, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen ohne ordentliches Gerichtsverfahren praktizierte. Dieser Staat war real; daher war dieser Staat nach Hegels Ansicht rational oder vernünftig und damit gut. Auf diese Weise, so Popper, habe Hegel dem preußischen Prototyp des modernen totalitären Staates seinen philosophischen Segen gegeben, und so müsse man ihn selbst als "totalitären" Denker und Apologeten bezeichnen. Hegel ist, kurz gesagt, ein "Feind" der "offenen Gesellschaft".
BallVsPopper: Aber ist Hegel im Sinne der Anklage schuldig? Die kurze Antwort ist nein. Lassen Sie uns sehen, warum. Hier ist Hegels eigene Aussage im deutschen Original: 'Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig. Die naheliegendste englische Entsprechung ist: "What is rational is actual; and what is actual is rational." Beachten Sie, dass "wirklich" nicht mit 'real', sondern mit 'actual' übersetzt wird. Im Alltagsdeutsch, wie auch im Englischen, gibt es
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normalerweise keine scharfe Unterscheidung zwischen "real" und "tatsächlich" (engl. "actual"). Popper (dessen Muttersprache Deutsch war) übersieht, dass Hegel nicht in gewöhnlichem, nicht-technischem Deutsch schrieb, sondern in einem technisch-philosophischen Idiom. Er unterscheidet zwischen wirklich (actual) und reell (real) und behält diese scharfe Unterscheidung bei. In Hegels philosophischer Nomenklatur ist eine Eichel (zum Beispiel) real; aber sie ist erst dann real, wenn ihr Potenzial vollständig verwirklicht ist, das heißt, wenn sie zu einer ausgewachsenen Eiche wird. Mit anderen Worten, Hegel verwendet "wirklich", um "vollständig verwirklicht" zu meinen; er stellt "wirklich" nicht dem Irrealen, sondern dem "Potenzial" gegenüber. So bedeutet Hegels berühmt-berüchtigte Aussage so etwas wie: "Rational ist das, was sein Potenzial vollständig verwirklicht; und was sein Potenzial vollständig verwirklicht, ist rational.
Hermeneutik/BallVsPopper: Aus Poppers (und vielen anderen) Fehlinterpretationen von Hegel (und Platon, Rousseau und anderen Theoretikern) lässt sich eine größere hermeneutische Lektion lernen. Erstens ist es wichtig, Aussagen in ihren richtigen Kontext zu stellen - konzeptuell-philosophisch oder anderweitig. In diesem Fall bedeutet das, zu beachten, wie Hegel einen scheinbar gewöhnlichen Begriff in einer nicht gewöhnlichen oder technischen Weise verwendet. Zweitens sollte man sich vor jedem Interpreten hüten, der wie Popper eine vorgegebene These hat, die er dann durch selektives Zitieren und Zusammenfügen von Aussagen, die aus ihrem textlichen und sprachlichen Kontext herausgenommen wurden, "beweist" - eine Vorliebe, die Popper ironischerweise mit den Marxisten teilt, die er so sehr verabscheut.
>G.W.F. Hegel, >K. Popper, >Übersetzung, >Zitate, >Unbestimmtheit, >Marxismus, >Ideologie, >Totalitarismus, >Falschinformation, >Aktualität, >Wirklichkeit.

1. Hegel, G. W. F. (1952 [1820]) Philosophy of Right, trans. T. M. Knox. Oxford: Oxford University Press. .
2. Popper, Karl R. (1963 [1945]) The Open Society and Its Enemies, 4th edn. New York: Harper and Row. II, 41

Ball, Terence. 2004. „History and the Interpretation of Texts“. In: Gaus, Gerald F. 2004. Handbook of Political Theory. SAGE Publications.

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
Ball, Terence

Gaus I
Gerald F. Gaus
Chandran Kukathas
Handbook of Political Theory London 2004

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