Interview mit Martin Schulz - Argumente statt Wissen? - Der Dialog über die Buchdeckel hinweg.

Lexikon der Argumente

Philosophische Themen und wissenschaftliche Debatten  

[englisch]

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Argumente statt Wissen? - Der Dialog über die Buchdeckel hinweg

Interview mit Martin Schulz

Wieso Argumente?
Was ist ein Argument im wissenschaftlichen Diskurs?
Was sind keine Argumente?
Was ist anders als bei Wikipedia?
Warum gab es so etwas nicht schon früher?
Wem nützt ein Lexikon der Argumente?
In Zukunft keine Bücher mehr?

Wieso eigentlich ein Lexikon der Argumente? Wieso nicht einfach Wissen?

Die Konzentration auf Argumente soll uns ersparen, 50 Seiten Text lesen zu müssen, um am Ende das entscheidende Argument vielleicht doch nicht gefunden zu haben. Außerdem ist es eine Sache, einen Begriff nachzuschlagen und eine ganz andere Sache zu erfahren, wie kontrovers dieser Begriff eigentlich ist. Ich spreche von einem „Dialog über die Buchdeckel hinweg“.
Es ist dann möglich, sich über den State of the Art in einem Gebiet zu informieren und nicht der Überzeugungsarbeit eines einzelnen Autors ausgeliefert zu sein.

Was ist ein typisches Argument in der wissenschaftlichen Diskussion?

Ein typisches Argument in der Wissenschaft ist: „Wenn die neue Theorie wahr ist, führt das zu folgenden Widersprüchen in der bisherigen Theorie….“. Wenn ein Bild erlaubt ist, in der wissenschaftlichen Diskussion ist es oft so, als ob man den Teppich über ein Loch zieht, dann aber feststellt, oder von anderen darauf hingewiesen wird, dass eine andere Stelle dadurch freigelegt wird. Oder dass der Teppich Falten wirft. Aber das ist natürlich nur eine Metapher und keine Argumentform.

Was ist ein Argument? Wie funktioniert es?

Argumente brauchen Futter, am besten Information. Angenommen in San Franzisko gehen mehr Leute bei Rot über die Strasse als in Los Angeles. Soll man sagen, das sei eben der Charakter der Leute, sie seien weniger angepasst oder mutiger? Wie wollen Sie das belegen? Sicher nicht damit, dass sie öfter bei Rot gehen. Das wäre ein Zirkel, eine Form von falschem Argument. Wie wäre es mit echter Information? Es gibt in San Franzisko viel mehr Einbahnstrassen. Es ist also leichter einzuschätzen ob ein Auto kommt, wenn man an der Ampel steht.
Man schließt aus dem Verhalten auf einen Charakter. Aber anschließend Verhalten mit dem Charakter zu erklären hieße, sich im Kreis zu bewegen.
A propos echte Information: natürlich gehen mehr Leute in Los Angeles bei Rot über die Strasse. Los Angeles hat einfach viel mehr Einwohner. Die sieht man nur nicht alle auf einmal. Da spielt der Mut oder die Angepasstheit gar keine Rolle.

Zirkel sind also schlecht?

Manche Autoren sprechen von „guten Zirkeln“. Es würde hier zu weit führen, das mit Beispielen zu belegen. (Sehen Sie im Lexikon der Argumente nach). Das Problem bei zirkulärer Argumentation ist, dass man nur seine vorher gefasste Einstellung wiederholt.

Gibt es Argumente, die häufiger auftreten?

Eine häufige Form ist, dass ein Autor einen anderen darauf hinweist, dass er eine Prämisse bewusst oder unbewusst verschwiegen hat. D.h. dass man Zusatzannahmen braucht, damit eine Theorie funktioniert.

Kann man Argumente für alles finden?

Um etwas pingelig zu sein: „für alles“ wird es kein Argument geben, denn das würde ja eine Aussage und gleichzeitig ihre Negation stützen müssen. Sie meinen sicher: für jedes erdenkliche Problem.
Die Frage ist, ob man ein Argument auf ein anderes Gebiet übertragen kann, d.h. ob man entweder andere Gegenstände einsetzen oder andere Eigenschaften annehmen kann.
Interessant wird es dort, wo sich Argumente für das Gegenteil auch finden lassen. Hier sollte sich ein weiteres Argument ergeben, das vielleicht auf einer anderen Ebene liegt.

Gibt es aber vielleicht doch eine allgemeine Form für Argumente, oder ein Allgemeines Argument?

Eine allgemeine Form, die auf alles passen soll? Sie meinen wohl so etwas wie den schönen Satz „Das muss jeder für sich entscheiden“? Das hört man ja oft. Aber das ist ja wohl kein Argument, das ist eine Ausrede. Man entscheidet nicht im Einzelfall, ob man Logik anwendet.
Um Logik in einem Streit anzuwenden, muss man allerdings erst mal ein paar Prämissen sammeln, auf die man sich dann auch noch einigen muss. Dann sieht man nach, was daraus folgt. Es gibt aber interessante wiederkehrende Formen: Wir können etwas eliminieren, das einen umstrittenen ontologischen Status hat (zum Beispiel die Zahlen) um sie dann als facon de parler wieder einzuführen. Diese Form gibt es immer wieder, sei es bei Quine - wenn es um Intensionen geht - oder bei Husserl (Einklammerung, Epoché). Wir haben dann die Ebene gewechselt. Vielleicht können wir das gleich noch etwas genauer ansehen.

Die Form ist dann also das Argument?

Nein, aber Argumenten liegen gemeinsame Formen zugrunde. Nehmen wir ein Beispiel: Gleichheit: Es kann sein, dass man nicht weiß, was ein Ding eigentlich ist, aber man erkennt, ob ein anderes Ding ihm gleicht. Das kommt sogar sehr oft vor: Man weiß nicht, wie eine Farbe zusammengesetzt ist, aber man erkennt den gleichen Farbton. Nicht jeder hat absolutes Gehör, aber viele hören es, wenn der gleiche Ton wieder erscheint.
So ist es manchmal auch in theoretischen Fragen: Frege hat Richtung durch Richtungsgleichheit definiert. Eine der großen Fragen der Analytischen Philosophie ist die nach der Bedeutung von Bedeutung. Und ein Ansatz ist, sie über Bedeutungsgleichheit zu erfassen.
Das muss aber nicht immer funktionieren: zum Beispiel können zwei Farben die sich gleichen, ganz verschieden zusammengesetzt sein.

Was ist ein Beispiel für eine neue Form?

Die Systemtheorie ersetzt die Unterscheidung Form/Inhalt durch die Unterscheidung innen/außen. Dazu muss man dann allerdings noch einige andere Unterscheidungen einführen. Wenn ein Bild erlaubt ist: Das führt dazu, dass man eine neue Landkarte für ein Gebiet erhält, das man bisher auf anderen Wegen durchreist hat.

Bei Argumenten denkt man doch eher an Streit.

Sicher, auch hier gibt es gemeinsame Formen. So wird bei einem Streit womöglich eine Seite einen Begriff enger, die andere Seite wird ihn weiter auffassen.
Kein Streit ist es, wenn sich die Teilnehmer gar nicht über die Gegenstände (die Ontologie) einig sind, um die es geht. Dann sagt man, sie reden aneinander vorbei. Aber auch hier kann es den Versuch geben, sich auf eine Ontologie mit Argumenten zu einigen.
 
Interessanterweise gibt es auch im Fall der Zahlen konkurrierende Theorien. Und sogar den Versuch, Wissenschaft ohne Zahlen zu betreiben, wenn man nämlich annimmt, dass Zahlen gar nicht existieren.

Wer sagt das denn?

Hartry Field. Das Problem ist: Nach klassischer Logik sind Sätze die von nichtexistenten Gegenständen handeln, weder wahr noch falsch. Dann kann man keine Beweise mehr führen.
Eine Lösung ist aber ganz einfach: Sie setzen Proportionen zueinander in Beziehung: „der Quotient der beiden erstgenannten Größen ist größer als der der beiden zweitgenannten“ genauer: a/b ist größer oder gleich c/d.. Das können Sie dann immer feiner gestalten. Natürlich ist das sehr umständlich. Sie können dann einfach wieder Zahlen einführen, um die Schreibweise abzukürzen, aber nur als facon de parler. Die Zahlen sind dann die Namen für die Buchstaben (genauer: die Differenzen), die sie unterscheiden wollten. Als Namen haben sie jetzt aber einen anderen ontologischen Status.

Das waren jetzt keine 50 Seiten.

Eben.

Erledigen sich Argumente mit der Zeit?

Manche Diskussionen erledigen sich. Die Argumente, wenn sie auf diese Probleme bezogen sind, auch, ihre allgemeine Form wird aber wahrscheinlich wieder auftreten.

Wem gehören Argumente?

Das Lexikon der Argumente hilft, Argumente an ihren Ursprung zurückzuverfolgen, auch wenn es nicht immer einen eindeutigen Urheber gibt.
Argumente führen zu anderen Argumenten, sie sind selten grundsätzlich erledigt. Natürlich kann man dann untersuchen, ob sie in früheren Diskussionen, d.h. anderen Zusammenhängen, erfolgreich waren.  

Was sind eigentlich keine Argumente?

Keine Argumente sind „Gefällt mir“ - „Soundso hat alles Notwendige zu diesem Thema gesagt“ - „Lesen Sie meine Doktorarbeit“ - „Das kann ich mir nicht vorstellen“.
Auf der Kippe ist: „Das ist alles nichts neues“. Vielleicht ist es ja wirklich nichts neues. Aber dann muss man zeigen, dass die Begriffe und Formulierungen des untersuchten Texts äquivalent zu früheren Texten sind.
Entdeckungen sind auch keine Argumente. Die Entdeckung des Higgsteilchens ist kein Argument für oder gegen etwas; es ist die Bestätigung einer Theorie, aber nicht argumentativ.

Wie erkennt man die Argumente im Lexikon der Argumente?

Sie sind durch „Versus“ (Schreibweise Vs) gekennzeichnet. Also AutorAVsAutorB. Man kann auch alle Argumente finden, die gegen einen bestimmten Autor sprechen, oder alles, wogegen dieser Autor Einwände hat. So ergibt sich ein Bild, eine Charakterisierung von Personen und Lagern.
Dann sucht man „ * VsAutorA “ oder „ AutorBVs * “.
Damit erhalten wir ein Netzwerk von Netzwerken.  

Was ist anders als zum Beispiel bei Wikipedia?

Wikipedia ist fantastisch, wenn man dort einen Begriff A weiterverfolgt und liest, dass der Begriff auch in der Rechtswissenschaft eine Rolle spielt, dann stößt man auf den Link zur „Rechtswissenschaft“. Bequemer geht’s nicht. Das Problem ist nur, dass man dort einen sehr umfangreichen Artikel zur Rechtswissenschaft lesen kann, auf den Begriff A stösst man dann aber gar nicht mehr. Der Link besteht also in der Verknüpfung verschiedener Gebiete, aber nicht im Verfolgen eines Begriffs durch verschiedene Gebiete. Und genau hier setzt das Lexikon der Argumente an.

Und wie ist das im Lexikon der Argumente?

Wir haben hier Tabellen, in denen alphabetisch geordnete Begriffe „quer durch verschiedene Autoren“ verfolgt werden können, die teils aufeinander reagieren, teils unabhängig voneinander geschrieben haben. Die Autoren sind dann wiederum in Tabellen verschiedenen Lagern zugeordnet, wodurch erklärt wird, warum ein Autor einen Begriff vielleicht gar nicht gebraucht.
Dann wiederum gibt es Tabellen die zeigen, was für die einzelnen Autoren wichtig ist, ihre Thesen.
Wieder andere Tabellen zeigen, welche Kontroversen Autoren und ihre Theorien ausgelöst haben
Das heißt, wir zeigen einen Gegenstand - die Diskussion - aus verschiedenen Perspektiven.
Im Lexikon der Argumente kann man auch Autoren zueinander in Beziehung setzen, die nicht mehr unter uns weilen. Oder lebende Autoren können mit Verstorbenen in Dialog treten. Das geht im Netz nur selten. Bei uns geht es. Und das nicht durch Magie sondern durch die Gültigkeit von Argumenten über die Zeit, auffindbar durch „Autor1VsAutor2“
Das meine ich mit dem „Dialog über die Buchdeckel hinweg“.

Und das kann man in Zukunft automatisch machen?

Das Problem ist, dass Autoren die Gegenpositionen zu ihren Thesen oft nicht mit der gleichen Vehemenz vertreten wie ihre eigenen Ansichten. Oft werden Gegenpositionen sogar gar nicht erwähnt. Es ist dann die Aufgabe des Lesers herauszufinden, wie man die Dinge auch anders sehen kann.
Das ist im Lexikon der Argumente für das Fachgebiet der Analytischen Philosophie gezeigt worden. Unter dem Stichwort „Semantische Suche“ wird versucht, Fragen zu beantworten, die über die Eingabe eines einzelnen Begriffs hinausgehen. Warum-Fragen zum Beispiel. Wenn nun Gegenpositionen verschwiegen werden ist es nützlich, sich auf verräterische Wendungen wie „veralteter Standpunkt“ usw. zu konzentrieren. (Siehe „Wissensstrukturierung“ und „Semantische Suche“ auf dieser Website).

Die Automatisierung bringt also nichts?

Die automatische Semantische Suche bringt sehr viel! Wie soll man sonst herausfinden, ob es einen Gegenstand mit den und den Eigenschaften unterhalb einer gewissen Preisschwelle in meiner Gegend zu kaufen gibt. Und das geht schon jetzt.
Das Problem für den wissenschaftlichen Diskurs ist aber, dass die Fundstellen selbst wiederum lange Texte sind, die ihrerseits durchsucht werden müssen und die einen wichtigen gesuchten Begriff vielleicht verschweigen!
Die Lösung die ich vorschlage ist eine Vorbearbeitung der Texte, die in Zukunft am besten von den Autoren selbst vorgenommen werden sollte.
Am besten ist es, wenn Experten sich die Zeit nehmen, ihr Fachgebiet nach den Gesichtspunkten

Begriff –These – Beispiel – Gegenposition - Lager

in knappster Form darzustellen. Das nenne ich das Fünf-Finger-Modell (Five Finger Model, FFM).
Daraus ergibt sich ein interessantes Netzwerk von Netzwerken. D.h. man setzt nicht nur die Gegenpositionen, sondern auch die Thesen, Lager, Definitionen zueinander in Beziehung. Man hat eine Ansicht der Diskussion aus mehreren Perspektiven.
Es wäre zu wünschen, dass Abstracts in Zukunft nach dieser Form aufgestellt werden. Sie können dann auch automatisch in das Lexikon der Argumente auf genommen werden.

Wollen Sie einen einheitlichen Standard für Wissensstrukturierung schaffen?

Man kann nur hoffen, dass es zu einem einheitlichen Standard kommt. Mir scheint „Versus“ (Vs) ein guter Kandidat für die Kenntlichmachung von Gegenpositionen zu sein. Tatschlich können Sie heute schon einfach „vs“ bei Google eingeben, wobei Sie dann zunächst von Sportergebnissen erschlagen werden. Das Kürzel „vs“ ist im angelsächsischen Sprachraum übrigens gängiger als bei uns.

Lässt sich für alle Wissenschaften ein Lexikon der Argumente aufstellen?

Wahrscheinlich nicht für alle. Weniger für die Naturwissenschaften, in denen sich frühere Fragen erübrigt haben sollten, nachdem ein Beweis erbracht wurde. Es wird auch hier argumentiert, aber dann mehr in Bezug auf Systematik und Methode. Da kann es dann aber heftigen Streit geben. Zum Beispiel ist der Stringtheorie vorgeworfen worden, prinzipiell unüberprüfbar zu sein und sich damit der wissenschaftlichen Diskussion zu entziehen. (Lee SmolinVsStringtheorie)
Gebiete, in denen Argumente wichtig sind, sind Felder konkurrierender Theorien wie die Wirtschaftswissenschaften. Hier ist es ein leichtes, die Kernpunkte verschiedener Theorien und Lager nach dem Schema des Lexikons der Argumente einzuarbeiten und zugänglich zu machen. Diese Arbeit kann auch relativ schnell geleistet werden, wenn ein Kollektiv von Mitarbeitern dafür gewonnen wird.
Andere Gebiete könnten sein: verschiedene Teilgebiete der Psychologie, Geschichtswissenschaft, Soziologie, Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft, Kunsttheorie usw.  

Für wen ist ein Argumentlexikon wichtig?

Für den Diskurs in den Wissenschaften und für alle, die an Wissensstrukturierung interessiert sind, das kann auch Firmen oder Politikberatung betreffen. Es ist zu hoffen, dass man hier zu einheitlichen Formen kommen wird. Konzentration auf Argumente statt auf lange Texte. Auffindbarkeit nach dem Schema AutorAVsAutorB
Es ist dann wie gesagt möglich, sich über den State of the Art in einem Gebiet zu informieren und nicht der Überzeugungsarbeit eines einzelnen Autors ausgeliefert zu sein. Für Studenten ist das Problem: Wenn man den Stoff erst einmal verstanden hat stellt sich das Gefühl ein, dass die Argumente die einem dort begegnen, überzeugend sind.
Leider verschweigen viele Autoren, dass es Gegenargumente gibt. Diese tauchen auf, wenn man in einem späteren Semester vielleicht andere Dozenten hat oder weiterführende Literatur gebraucht wird.
Das Lexikon der Argumente versucht, die Gegenargumente unabhängig vom zeitlichen Verlauf des Studiums bereitzustellen, und zwar dergestalt, dass man nicht 50 Bücher à 300 Seiten lesen muss, wobei man die entscheidenden Stellen dann überliest, sondern Auszüge in Tabellenform vorliegen hat. Einen geordneten Zettelkasten mit vielen tausend Fächern. Das bringt dann die komfortable Situation mit sich, dass man virtuell 15 oder 20 Bücher an der richtigen Stelle aufgeschlagen auf dem Tisch hat.
Wenn man aber hier einmal weiter denkt, ein Teil des Studiums ließe sich eines Tages vielleicht erübrigen und die Zeit für anderes nutzen. Zum Beispiel kann man neue Inhalte in den Lehrstoff hereinnehmen. Viele Studenten brauchen aber auch einfach Zeit, um sich ihr Studium zu finanzieren.
Irgendwann einmal wird die Universität als Gebäude nicht mehr so wichtig sein, so wie Papier heute schon nicht mehr so wichtig ist.
Letztlich kann sich im Internet aber jeder in ein Wissensgebiet einarbeiten, ob er ein Fach studiert oder nicht. Die Unterscheidung zwischen Experten und Laien mag sich irgendwann einebnen und das Lexikon der Argumente kann helfen, dass es dabei mit besseren Informationen zugeht. D.h. mit Informationen, die in den Zusammenhang passen und durch das Wechselbad der Kontroversen gegangen sind.

Was ist das eigentlich für ein Register das Sie da haben?

Es ist ein autorenübergreifende Register, das man mit dem Smartphone in die Bibliothek mitnehmen kann. Hier sind die einschlägigen Stellen - bis jetzt der Analytischen Philosophie – von über hundert Autoren und vielen hundert Veröffentlichungen und Büchern zu Stichworten angegeben und darüber hinaus meist kurze Kommentare zum Inhalt. Man kann vor Ort in der Bibliothek also die Relevanz einschätzen und sich überlegen, ob man das eine Buch ausleiht oder kauft oder das andere.
Bedenken Sie, dass die meisten Sammelbände gar kein Register haben und ein autorenübergreifendes Register bisher überhaupt noch nicht so existierte.  

Und die Bücher braucht man dann nicht mehr zu kaufen?

Das ist ein Missverständnis. Die vollständige Quelle, das Buch liegt ja im Lexikon nicht vor. Es wird aber die genaue Stelle im Buch angegeben, wo das Argument zu finden ist. Im Lexikon der Argumente ist ein Exzerpt und der Zusammenhang zu anderen Autoren angegeben, also quasi „quer“ durch die Diskussion. Den größeren Kontext im Buch muss man nachlesen, wenn man wissen will, wie der Autor dazu kommt. Das macht die Bücher eben nicht überflüssig und das ist gut so.

Darf man fragen warum das gut ist?

Weil Sie die Quellen wörtlich zitieren müssen, wenn Sie eine wissenschaftliche Arbeit schreiben. Versuchen Sie mal im Netz ein Zitat von einem Wissenschaftler aufzusuchen, das Ihnen geläufig ist; Sie werden sehen, dass Sie oft nicht die genaue Quelle (Titel, Seitenzahl, Erscheinungsort/Jahr) und oft auch nicht den genauen Wortlaut herausfinden werden.

Aber theoretisch könnte man seine Masterarbeit oder Promotion mit copy and paste aus dem Lexikon der Argumente schreiben?

Man könnte. Aber man kann die Plagiate damit auch genauso schnell aufdecken! Viel schneller als bisher. Alle arbeiten doch am selben Projekt: Wie können wir unser Gebiet weiterbringen? Wie kommt neues Wissen zustande? Natürlich dadurch, dass wir Argumente zur Kenntnis nehmen und versuchen, selber bessere Argumente zu finden. Dabei inspirieren uns die bisherigen Argumente und verhindern dass wir uns einbilden, das Rad erfunden zu haben.  

Warum gab es so etwas wie das Lexikon der Argumente nicht schon früher?

Das liegt zum einen daran, dass man das bisher noch nicht automatisch machen konnte und zum anderen, dass es Detektivarbeit erfordert, Gegenstandpunkte aufzuspüren, die von einer Quelle verschwiegen werden.
Bücher nehmen manchmal aufeinander Bezug, aber sie stehen still im Regal und manchmal sogar an ganz verschiedenen Stellen oder in verschiedenen Bibliotheken. Sie sprechen nicht miteinander. Wenn der eine Autor nicht mehr da ist, fängt der andere an zu sprechen. Das Lexikon der Argumente öffnet die Buchdeckel für einen lebendigen Dialog und lässt alle miteinander in Kontakt treten.

War die alte Zeit der analogen Texte aber nicht übersichtlicher?

In gedruckten Büchern konnte man nicht nach Begriffen suchen, die man selbst falsch verstanden hatte oder die nur paraphrasiert auftauchten oder gar nicht. Manchmal merkte man auch erst sehr spät, dass ein Begriff durch das ganze Buch hindurch in einem etwas anderen Sinn verwendet wurde, als man selbst in früherer Literatur gelernt hatte. Stellen Sie sich vor, auf der letzten Seite eines Buches, das Sie lieben gelernt haben steht: „…und im übrigen ist alles falsch, was in dem Buch des Kollegen soundso steht“ und das war gerade das Buch, das Sie davor zu lieben gelernt hatten! Das tut weh. Im Lexikon der Argumente widerfährt Ihnen dieses Erlebnis nun etwas öfter, aber es geht auch schneller vorbei und es tut nicht ganz so weh.
Warum es nicht so wehtut? Weil es früher passiert! Dadurch arbeitet man effektiver.

Und im Netz ist alles besser?

Ein Problem des Netzes ist, dass dort zunächst alles mehr oder weniger gleichwertig nebeneinander steht. Die Fortführung des Lexikons der Argumente wird so aussehen, dass neue Einträge für eine bestimmte Zeit als neu markiert sind. Diese Markierung fällt nach einer Frist weg. Wenn die Quellen im Lauf der Zeit zitiert werden, bekommen sie eine andere Einfärbung je nach der Anzahl der Zitierungen. Dann kann der Benutzer die Relevanz einschätzen.

Wie soll das Lexikon der Argumente in der Zukunft aussehen?

Wirtschaftswissenschaftler, Politikwissenschaftler, Historiker, Soziologen, Kunsttheoretiker, Psychologen und viele andere sind eingeladen, für ihr jeweiliges Fachgebiet bei uns mitzumachen und ein Lexikon der Argumente in unserem Rahmen zu erstellen.

Suchmaschinen gibt es aber doch schon so viele?

Es gibt aber für alle die Gefahr, eine Information nicht zu finden, weil sie falsch etikettiert ist oder in einer Darstellung verschwiegen wird. Hier ist das große Thema die Semantische Suche. Dazu können Sie etwas lesen unter unserer Rubrik „Das Projekt“: “Semantische Suche“ und „Wissensstrukturierung im wissenschaftlichen Diskurs“.

Wie kann man eine Arbeit so lange durchhalten? Das Projekt startete doch schon März 1998.

Das Schöne ist, dass man immer neue Entdeckungen macht. In Argumentform ist Wissen wie besser gekochtes Essen. Es ist nicht so zusammengerührt.
 
Vielen Dank Martin Schulz, für das Interview!
Gerne, nichts zu danken!
 
Das Interview führte Jens Gippner im April 2013.