Begriff/ Autor/Ismus |
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Theorieabhängigkeit | Schurz | I 57 Theorieabhängigkeit/Beobachtung/Schurz: gegenwärtig wird die Theorieabhängigkeit von der Mehrheit der Wissenschaftler halbherzig akzeptiert. (Chalmers 1994(1),20-31, Nagel 1979(2),79). Bsp Angenommen, zwei Theorien mit sich widersprechenden Voraussagen: wäre eine vollständige Theorieabhängigkeit gegeben, I 58 dann wären die Beobachtungen der Vertreter nur durch ihre theoretischen Erwartungen bestimmt! Das wären dann selbsterfüllende Prognosen Totaler Rechtfertigungszirkel: man glaubt an die Theorie, weil man deren Prognose beobachtet hat und dies deshalb, weil man an die Theorie glaubt. Theorieabhängigkeit/Schurz: fünf Argumente dafür: 1. Erfahrung ist theoriegeleitet: eine Selektion der Erfahrung hinsichtlich Relevanz ist unerlässlich. Diese Selektion ist theoriegeleitet: danach bestimme ich, nach welchen Beobachtungen ich suche. Vs: Das ist richtig, aber daraus folgt nicht, dass die Beobachtung selbst theoriegeleitet ist. Vertreter widersprechender Theorien können die gleichen Beobachtungen machen. 2. Wahrnehmung ist ein (unbewusster) Konstruktions- und Interpretationsprozess: Bsp Ambiguitäten und Täuschungen, Bsp H-E-Kopf (Jastrow), Kippbilder: sollen die Theorieabhängigkeit der Wahrnehmung belegen. >Hase-Enten-Kopf. Vs: die kognitionspsychologischen Befunde widerlegen nur den sogenannten direkten Realismus, nach dem wir die Dinge so sehen, wie sie sind. Sie zeigen aber auch etwas anderes: dass unsere Wahrnehmung radikal unabhängig von Hintergrundannahmen und Hintergrundwissen sind! (Fodor 1984(3), Pylyshyn, 1999(4)) Täuschung/Fodor: Täuschungen stellen sich für jedermann gleichermaßen ein, egal wie weit die Person darüber aufgeklärt wurde, dass es sich um eine Täuschung handelt. >Täuschungen. I 59 Lösung: Die Wahrnehmungsprozesse beruhen auf angeborenen Mechanismen. Theorieabhängigkeit/Wahrnehmung/Lösung/Schurz: Die Lösung ist dann die Abhängigkeit von erworbenem Hintergrundwissen (nicht von angeborenen Mechanismen). Theorieunabhängigkeit/Wahrnehmung/Schurz: Personen mit unterschiedlichstem Hintergrundwissen machen dieselben Wahrnehmungen. >Hintergrund, >Wahrnehmung. 3. Wissenschaftliche Beobachtungsdaten sind theorieabhängig: hier geht es um Beobachtung mittels Instrumenten (Teleskop, Mikroskop usw.). Dann handelt es sich bei den Theorien meist um Theorien über das Funktionieren der Messinstrumente. >Theorie/Duhem, >Methode/Duhem. pragmatischer Beobachtungsbegriff/VsQuine: man kann nicht alles gleichzeitig überprüfen. I 60 4. Kontinuitätsargument/Maxwell 1962(5)/Carnap 1962(6)/Hempel 1974(7)/Schurz: These: Es gibt einen kontinuierlichen Übergang von Beobachtbarkeit mit dem bloßen Auge, über Brille, Lupe usw. bis letztlich zum Elektronenmikroskop. Dann ist „Beobachtung“ willkürlich. >Beobachtung. Vs: Erstens impliziert die Tatsache, dass es einen kontinuierlichen Übergang zwischen Schwarz und Weiß gibt nicht, dass es keinen Unterschied zwischen Schwarz und Weiß gibt. Zweitens gibt es in diesem Übergang markante Schnitte. 5. Beobachtung ist sprach- und kulturabhängig/Kulturrelativismus: >Humboldt, >Sapir-Whorf-These. These wir können nur das wahrnehmen, was in unserer Sprache durch Begriffe vorgezeichnet ist, Vs: daraus, dass Sprachen besondere Begriffe haben, folgt nicht, dass man bestimmte Sinneserfahrung nicht machen kann. Sinneserfahrung/VsWhorf: Erfahrung ist selbst nicht sprachabhängig. Das wäre nur so, wenn Andere nicht in der Lage wären, fremde Beobachtungsbegriffe durch Ostension zu lernen. Diese Lernfähigkeit ist jedoch immer vorhanden. I 61 Ostension/VsWhorf: Ostension funktioniert ja gerade wesentlich nonverbal! >Zeigen, >Ostension, >Sprachabhängigkeit. 1. Chalmers, D. (1994). Wege der Wissenschaft. Berlin: Springer. 2. Nagel, E. (1979). Teleology Revisited and Other Essays, New York: Columbia University Press. 3. Fodoer, J. (1984). "Observation Reconsidered". Philosophy of Science 51, 23-43. 4. Pylyshyn, Z. (1999). "Is Vision Continouus with Cognition?", Behavioral and Brain Sciences 22, 341-365. 5. Maxwell, G. (1962). "The Ontological Status of Theoretical Entities". In: Feigl,H. and Maxwell,G. (eds.): Minnesota Studies in the Philosophy of Science, Vol III, Minneapolis: University of Minnesota Press. 1962. 6. Carnap, R. (1976). Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaft, 3. Aufl. München: Nymphenburger. (Engl. Orig. 1966). 7. Hempel, C. (1974). Philosophie der Naturwissenschaften. München: DTV. (Engl. Orig. 1966). |
Schu I G. Schurz Einführung in die Wissenschaftstheorie Darmstadt 2006 |